Bericht: Einblick - Unser letztes Jahr

Wir veröffentlichen hier den Bericht einer Familie mit sehr schwer an ME/CFS erkranktem Kind. Die Familie erfuhr von Ärzt*innen anstelle von Hilfe vor allem Angriffe in Form von versuchtem Sorgerechtsentzug, Freiheitsentzug und eingeschränktem Besuchsrecht sowie Gesundheitsgefährdung.

Bericht lesen: Einblick - Unser letztes Jahr


Die folgende Zusammenfassung ist ein Ausschnitt dessen, was wir in den letzten zwei Jahren erleben mussten. Unsere gesamte Geschichte ist umfangreich und birgt zahlreiche Verletzungen, Stigmatisierung und Auseinandersetzungen. Wir sind mit Institution und Menschen konfrontiert, die uns voreingenommen und urteilend begegnen. Ein Sozial- und Gesundheitssystem, welches Menschen nicht auf Augenhöhe begegnet. Es herrscht eine Haltung, die ein großes Schubladendenken mit einer Begrenztheit beinhaltet, die Macht ausübt und auch den Raum dazu hat. Ein System und Strukturen, die sich gegenseitig ohne Objektivität tragen. Gar wirkt es so, als ob das Versagen von Institutionen, bei denen wir mehrfach um Unterstützung gebeten haben, uns Eltern ein Fehlverhalten anhängen, um von ihrem eigenen Nicht-Handeln abzulenken. Und am Ende ist der Patient an seiner Situation selbst schuld, weil da muss doch etwas Psychisches sein!

Unser sehr schwer an ME/CFS erkranktes Kind (15 Jahre alt), musste Anfang September 2022 wegen einer Jet-PEG ins Krankenhaus. Es entwickelte im Laufe seiner Krankengeschichte mehrere Unverträglichkeiten, so dass die ausreichende Nahrungsaufnahme immer schwieriger wurde.
Vgl.: Versorgung von Patient*innen mit schwerer oder sehr schwerer Myalgischer Enzephalomyelitis/ Chronischem Fatigue-Syndrom (Deutsche Gesellschaft für ME/CFS)

Im Vorfeld war mit dem SAPV-Team (die zu dem Zeitpunkt überhaupt erst drei Wochen bereit waren, uns zu unterstützen, obwohl wir sie ein halbes Jahr mehrfach um ihre Hilfe gebeten hatten) besprochen worden, dass es aufgrund seiner ME/CFS Erkrankung, so kurz und schonend wie möglich im Krankenhaus untergebracht werden sollte und das SAPV-Team den Nahrungsaufbau mit uns gemeinsam im häuslichen Rahmen ermöglicht.
Dazu kam es nicht.
Die Klinik sprach eine Kindeswohlgefährdung aus und das Jugendamt hörte uns nicht einmal persönlich an.
Das SAPV-Team wand sich aus allem raus und fiel uns mit vielen weiteren Ärzten, die das Kind nie gesehen hatten, mit insgesamt 7 Unterschriften unter der Kindeswohlgefährdung auch noch in den Rücken.

Auch wurde ME/CFS von der Klinik angezweifelt und eine psychische Erkrankung sollte neben dem stationären Nahrungsaufbau diagnostiziert werden. Es wurde von Komorbiditäten gesprochen und dass unser Kind schwer depressiv und auch suizidal sei. Wir Eltern würden die Erkrankung unseres Kindes mit begünstigen.

Unser Kind ist seit Mai 2021 erkrankt, immer schwächer geworden und hat viele Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte hinter sich. Eine Odyssee mit zum Teil traumatischen Begegnungen und Erlebnissen. Im Dezember 2021 fragten wir bereits, ob es nicht an ME/CFS erkrankt sein könne. Da wir niemanden finden konnten, der es diagnostizieren bzw. ausschließen konnte, ging unser Kind mit dem Verdacht auf ME/CFS Mitte Januar 2022 bis Mitte Februar 2022 in die Psychosomatik. Wir wurden so unter Druck gesetzt und unsere Befürchtung einer Verschlechterung vom Zustand bestätigte sich, nachdem wir diesen Versuch beendeten und unser Kind danach bettlägerig war. In der Psychosomatik wurde eine Depression oder Angststörung ausgeschlossen.

Im April 2022 wurde unserem Kind dann ME/CFS diagnostiziert. Da es zu diesem Zeitpunkt schon zu schwach war, war es nicht mehr in der Lage den Fragebogen zur Diagnostik selbstständig auszufüllen, sowie den vorgesehenen Schellongtest zu erfüllen. PEM, das ausschlaggebende Kriterium für ME/CFS wurde eindeutig belegt.

Unser Kind hat einen Bell Score von 0 und kann sich nicht mehr selbstständig bewegen, nur sehr selten, und wenn, dann schwach sprechen und die Augen aufhalten.
Dennoch wollte die Klinik Differenzialdiagnosen, vor allen Dingen im psychiatrischen Bereich klären, blieb dabei jedoch immer unklar.

Von Anfang September 2022 bis Anfang Oktober 2022 lag unser Kind auf der Intensivstation der Kinderklinik. Nicht, weil es intensivmedizinisch untergebracht sein musste, sondern weil hier das ruhigste Zimmer sein sollte. Die OP war ohne Komplikationen verlaufen.
Danach wurde es für noch weitere drei Monate gegen unseren und den Willen unseres Kindes, auf der psychosomatischen Station festgehalten.

Ab Mitte September 2022 durften wir unser Kind nur noch für eine Stunde am Tag besuchen.
Unser Sorgerecht haben wir bei der Anhörung Ende September 2022 nur behalten können, weil wir zustimmten, dass unser Kind auf die psychosomatische Station verlegt wird.
Eine erzwungene Zustimmung. Auf der psychosomatischen Station durften wir unser Kind dann zunächst zwei Mal die Woche für eine Stunde mit Beisitzer besuchen.

Die Bedingungen, warum unser Kind weiter in der Klinik bleiben sollte, änderten sich immer wieder. Erst war es der Nahrungsaufbau, dann das Refeeding Syndrom (was aber schon lange überwunden war), dann das Hydrokortison, welches in der Klinik ausgeschlichen werden sollte und dann sollte unser Kind ein Antidepressivum bekommen. Ein Off Label, was unser Kind nicht wollte. Der behandelnde Arzt wollte dies vor Gericht erzwingen und stellte uns Eltern als schlechten Einfluss dar.

Die Kommunikation zwischen den Ärzten und uns war von Anfang an schlecht. Wir wurden angezweifelt von Pflegekräften und Ärzten, die sich mit dem Krankheitsbild in keiner Weise auskannten und uns wurden Dinge unterstellt, Lügen ausgesprochen und Behauptungen uns gegenüber aufgestellt. Unter anderem, dass unser Kind nicht zurechnungsfähig sei, oder eben, dass es suizidal und schwer depressiv ist. Wir hätten Behandlungen abgelehnt, wären anstrengend und vieles mehr. Zum Teil Todschlagargumente, wie, dass, wenn unser Kind nach Hause käme, sterben würde.
Wir haben uns zu dem Krankheitsbild ME/CFS folgerichtig verhalten. Beurteilt wurde unser Verhalten von der Klinik als überfürsorglich und für unser Kind schädlich. Sehr früh bekamen wir das Gefühl, dass es nicht um unser Kind ging, sondern um Recht und um Macht.

Erschwerend für die Rückführung nach Hause kam hinzu, dass wir lange keinen Hausarzt finden konnten, der unser Kind weiter begleiten wollte.
Zum einen, weil alle Ärzte überlastet sind, sich mit der Erkrankung nicht auskennen und/oder sich keiner auf einen Konflikt mit der Klinik einlassen wollte.

Uns wurde Transparenz vorgegaukelt, wir wurden hingehalten, es wurde nicht ehrlich und offen mit uns gesprochen, teilweise manipulativ agiert und wir wurden als Eltern in unserem Urteilsvermögen permanent angezweifelt. Es wurde über uns hinweg gegangen, obwohl wir das volle Sorgerecht haben. Wir wurden unter anderem auch nicht über Untersuchungen oder Blutentnahmen, Ernährungswechsel, Medikamentenänderungen informiert. Auch was unser Kind alles an Aktionen am Tag hatte, wurde uns zum Teil verschwiegen.
Wir konnten dies dann an dem extrem schwachen Zustand unseres Kindes oder einem Crash ablesen.

Eine richterliche Anordnung für einen Beisitzer in unserer Besuchszeit, oder gar eine begrenzte Besuchszeit gab es nicht. Jedoch wurde uns das immer wieder von Ärzten und Pflegekräften so gesagt. Ein richterlicher Beschluss konnte uns jedoch nicht gezeigt werden.

Um Einsicht in die Patientenakte baten wir das erste Mal nach dem Stationswechsel. Erst Anfang Dezember bekamen wir eine Akte zur Verfügung, die immer noch keine Befunde, Blutwerte und Diagnosen beinhaltete. (Nach dem Gesetz haben wir das unverzügliche Recht, jederzeit und unverzüglich die Patientenakte ausgehändigt zu bekommen.)

Die Patientenakte ist nur ein Beispiel dafür, wie der Klinikkonzern und seine Mitarbeiter sich gegenseitig tragen. Auch der Antrag auf ein Ethikkonzil wurde von dem leitenden Pastor uns gegenüber abgelehnt, da er mit den behandelnden Ärzten gesprochen habe, und diese sagten, ein Konzil würden sie nicht für nötig halten. (Ein Gremium, was unabhängig sein sollte und uns auch nicht bekannt ist, dass man einen Antrag auf ein Ethikkonzil ablehnen kann.) Am Ende des Telefonates sagte er noch zu uns, wir sollen mal lieber nicht so viel Druck machen, sonst wisse er nicht, was noch passieren würde.

Anfang Januar 2023 kam es zum zweiten Anhörungstermin vor Gericht und seit Mitte Januar 2023 ist unser Kind nun endlich wieder zu Hause.

Ein Bericht von der Klinik rief bei uns zu Hause, knapp eine Woche nach der Entlassung, unangemeldet das Jugendamt auf den Plan. Nachdem wir über die vier Monate mehrfach um den Austausch mit diesem gebeten hatten, keine Reaktion von diesem kam, wurde uns gesagt, das Jugendamt habe aus dem Arztbericht eine weitere Kindeswohlgefährdung abgelesen. (Wir wissen nicht, warum die Klinik einen Bericht an das Jugendamt weitergeleitet hat und ob es das darf?)

Der derzeitig vorläufige Arztbericht psychiatrisiert uns als gesamte Familie. In diesem entbehren unter anderem die Differenzialdiagnosen nicht nur den „Anspruch auf Vollständigkeit“, sondern auch den „Anspruch auf Belegbarkeit“, da es sich lediglich um die subjektive Meinung der Klinik handelt. Für ungeschulte Menschen erweckt diese Formulierungsweise den Anschein von gemachten Diagnosen.
Wir befürchten, dass dieser Bericht uns weiter belasten wird und wir eigentlich dagegen vorgehen müssen. Aber auch dafür brauchen wir wieder Kraft.

Wir konnten uns vor dem Familiengericht durch einen guten und ME/CFS erfahrenen Anwalt (diesen hatten wir jedoch erst bei unserem zweiten Anhörungstermin) wehren.
Wie viele Betroffene sind allein und haben nicht die Möglichkeit, sich zu wehren, weil sie nicht die Kraft haben oder ihnen auch das nötige Geld fehlt.
Wir fühlen uns beschmutzt von Behörden und Institutionen, wurden in die Ecke gedrängt. Unwahrheiten wurden unhinterfragt über uns verbreitet und Institutionen üben Macht und Unterdrückung aus. Was ist das für ein System, wo so mit schwerstkranken Menschen und ihren Angehörigen umgegangen werden kann?

Was bleibt, ist ein großes Entsetzen über das, was uns als gesamte Familie angetan wurde. Das dies überhaupt geschehen kann. Auch bleibt eine Angst. Angst vor Behörden, bis unser Kind 18 Jahre alt ist. Eine große Verletzung bzw. Trauma, neben der schon sehr schweren Erkrankung unseres Kindes.

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